Schon in Deutschland verriet uns das Studium der Reiseführer, dass die Neuseeländer sich selber als Kiwi bezeichnen. Konnten wir das anfangs gar nicht richtig glauben, so haben wir es jetzt aus dem Munde so vieler Neuseeländer gehört, dass wir es bestätigen können. Auf die Frage: 'Where are you from?' antwortet ein Neuseeländer immer 'I'm a Kiwi'. Haben sie also die Frucht nach sich selbst benannt ... warum nicht ...
Bleibt nun erstens die Frage zu klären, woher diese merkwürdige Selbstbezeichnung stammt ... und zweitens die Augabe, dem eigentlichen Sinn dieses Posts näher zu kommen.
Der dritte Kiwi-Namensträger - oder wohl besser gesagt, der Kiwi, der als erstes Kiwi hieß - ist ein flugunfähiger, nachtaktiver Vogel ... ungefähr so groß wie ein Huhn. Er ist das Nationaltier Neuseelands und vom Aussterben bedroht. Die Kiwis identifizieren sich mit ihrem Kiwi ... bis zum Namen. Für kein anderes Tier wird so viel Geld ausgegeben und Aufwand zur Erhaltung betrieben.
Hatte der Kiwi früher kaum natürliche Feinde, ist das heute leider anders. Die Europäer haben eine Reihe von Nutztieren mitgebracht und verwildert. Allen voran das Opossum ... zum Jagen wegen des schönen Fells, aber auch Marder, Ratten, Katzen und Hunde. Das Opossum fands ganz super in NZ, gab es hier keinen einzigen Feind außer dem Menschen, der aber bekanntlich in vielen Regionen sehr spärlich vertreten ist. Das Ende vom Lied ist eine gigantische Opossum-Pest ... zum Nachteil der Kiwi-Jungen, die heute in freier Wildbahn nur noch eine Überlebenschance von maximal 5% haben. Langer Rede kurzer Sinn, es sind kaum noch Kiwis da ... und die sind mächtig geschickt sich im Urwald zu verstecken. Tagsüber bewegen sie sich gar nicht und nachts meiden sie jede Form von Licht. Es ist also praktisch unmöglich einen Kiwi in freier Wildbahn anzutreffen. Und wenn einem dies gelingt, dann ist dies etwas ganz besonderes. Nun ahnt ihr vielleicht langsam, worauf dieser Post hinaus läuft ... richtig ... es ist der Bericht über unsere aufregende Kiwi-Night-Watch-Tour im Okarito-Naturschutzgebiet. :-)
Nachts ist's dunkel und natürlich darf man beim Kiwi-Beobachten nicht mit dem Foto-Apparat herumblitzen. Fotos gibt's also in diesem Post keine ... wie ich gerade merke scheinbar zum Ersatz etwas mehr Text ... ist die Seite doch schon voll und wir noch gar nicht losgegangen.
In Okarito gibt es die besonders seltene Art der Okarito-Kiwis. Anfang des neuen Jahrtausends lebten davon gerade noch 150 Stück. Es wurde ein Projekt zur Rettung dieses Kiwis aufgesetzt. 3 Pärchen (der Kiwi lebt monogam und wird ziemlich alt) wurden mit Sendern ausgestattet, um ihnen ihre Eier zu "klauen" und diese in einer nahegelegenen Aufzuchtstation des Department of Conservation auszubrüten. Die kleinen Kiwis werden aufgezogen und wieder in ihren Urwald entlassen, wenn sie groß genug sind, um sich gegen ihre Feinde zur Wehr zu setzen. Immerhin sind aus den 150 jetzt schon ca 400 Okarito-Kiwis geworden.
Wir treffen uns mit Ian, einem Mitarbeiter in diesem Projekt und Kiwi-Experte. Er lebt in Okarito, einem 30-Seelendorf. Ian begrüßt uns auf deutsch ... seine Freundin ist Deutsche, lebt in Münster und er war gerade 3 Monate dort und hat Deutsch gelernt ... das soll nicht einrosten. Die Welt ist klein! Ansonsten ist er Engländer und Ende der 90er als Backpacker in Okarito hängen geblieben. Das ist übrigens ein Standard-Phänomen, wir haben schon so viele Backpacker-Hängenbleiber getroffen ... aber wir sind ja Campervan-Driver, keine Sorge also ...
Neben uns sind 6 weitere Kiwi-Enthusiasten mit von der Party. Bevor es in den Urwald geht, kurze Theorie-Einführung. Ein Kiwi-Päarchen hat ein festes Revier von ca 2x2 km, dort Dutzende von Unterschlüpfen ... man weiß nie, wo sie sich befinden. Ian zeigt uns die handgefertigte Karte der Reviere seiner drei Päarchen. Mittendurch verläuft ein alter Golddigger-Trampelpfad ... sonst hätten wir sowieso keine Chance. Wir sollen uns die markanten Rufe des Kiwi-Weibchen und -Männchen genau einprägen, die er uns vorspielt. Taschenlampe und Mückenschutz-Hut einpacken, dann geht es los in der Dämmerung. Auf besagtem Weg stapfen wir erstmal 3 km in den Busch, je weiter wir kommen, desto stiller werden alle. Ruhe ist das A und O, haben wir eingeschärft bekommen. Immer wieder hält Ian seinen Peilsender hoch, er kann damit die Richtung eines sendenden Kiwis ermitteln und eine grobe Entfernung abschätzen. Keine genauen Koordinaten. Dann endlich signalisiert der Empfänger 'Kiwi im Anmarsch'. Es ist Whiteeye ... gerade aufgestanden, jetzt hat er Hunger und geht auf Tour. Wir verabreden kurze Signalzeichen mit den Rotlichtlampen und stellen uns im Abstand von 10m auf, jetzt heißt es Lauschen und Geduld haben. Da wir unmöglich ungehört durch den dichten Busch auf Whiteeye zugehen können, ist der Plan zu warten, bis er den Weg im Laufe des Abends überquert und dann genau dort zur Stelle sein, um ihn zu sehen.
Mittlerweile ist es dunkel, seinen Nebenposten kann man nur noch mit Mühe erkennen. Die Frage, ob man sich erschrecken würde, wenn auch diese Schemen noch verschwänden und der Eindruck entstünde, man wäre ganz alleine im Süd-Neuseeland-Busch verflüchtigt sich schnell ... erstmal muss das Überleben gesichtert werden. Denn vollkommen bewegungslose menschliche Lauschposten sind ein gefundenes Fressen für Moskitos, die in großen Scharen anrücken. Zum Glück! gibt es diesen Hut mit dem Moskitonetz. Wir sollen vor allem auf Fußtritte von Whiteeye hören. Kiwis haben riesige und kräftige Füße und trampeln damit geräuschvoll durch den Wald ... crunch ... crunch ... crunch ... Wir hören in erster Linie Moskitos und gelegentlich das laute Morepork der neuseeländischen Eule. 10 Minuten ... 20 Minuten ... Ian hatte uns x-mal eingeschärft, dass einzig Geduld der Schlüssel zu unserer Kiwi-Sichtung sein würde. Dann plötzlich blinkt Ian's Rotlichtlampe das Signal möglichst geräuschlos in seine Richtung zu kommen. Wir stellen uns eng zusammen und können tatsächlich das angekündigte Kiwi-Gestapfe hören ... wie kann ein so kleiner Vogel nachts so einen Lärm machen. Sehen tut man nichts ... also natürlich jede Menge Busch bestehend aus Bäumen, Büschen, Gräsern, Mosen ... sehr undurchdringlich, aber kein Zipfel Kiwi. Dann ist das Gestapfe weg ... hhm ... Ian huscht mit seinem Peilsender über den Pfad, dann wieder das rote Kommt-schnell-aber-vor-allem-leise-hierher-Blinken ... das geht zweimal ... dreimal ... sechsmal so. Immer wieder können wir Whiteeye eindeutig hören, aber kein Stück sehen. Besonders witzig ... wir bekommen sogar seinen Toilettengang mit ... pfdddt ... eindeutiges Geräusch. Gar nicht so einfach, nicht lauthals loszulachen!
Dann bewegen sich plötzlich die Gräser vor uns ... immer stärker, Whiteeye ist im Begriff unseren Pfad zu überqueren. Bleibt im letzten Moment stehen, überlegt es sich anders und verschwindet wieder im Busch. Was für ein Krimi! Es geht also weiter mit der Hin- und Herschleicherei und Lauscherei.
Nach weiteren 20 Minuten wackelt dann das Gebüsch vor uns wieder, das Crunch-Crunch-Crunch wird lauter und lauter ... aufregend! ... klappt es diesmal? Ian schaltet seine Rotlichtlampe an, das Licht sieht der Kiwi nicht, uns gibt es die Chance im Dunkeln Dinge gut zu erkennen. Dann ist es endlich soweit, 1m rechts von uns tritt Whiteeye auf unseren Weg, schaut in unsere Richtung und eilt dann mit sechs, sieben großen Schritten in flottem Tempo über den Weg. Er will schnell wieder zurück in sein sicheres Dickicht. Im roten Schein von Ian's Lampe haben wir einen absoluten Logenplatz und gehören nun zu den wenigen Menschen auf dieser Erde, die einen Kiwi in freier Wildbahn beobachten konnten ... super ... das hat riesigen Spaß gemacht!!!
Fotos gibt es wie gesagt keine ... aber damit ihr wisst, warum wir so begeistert sind, haben wir eine Kiwi-Postkarte für Euch (und uns!) gekauft. ;-)
P.S.: Dieser Post bekommt noch einen Anhang, der vor allem Gisela interessieren wird, die uns Keri Hulme und ihren Booker-Preis-gekrönten Roman 'Unter dem Tagmond' als Reiseliteratur empfohlen hatte. Keri Hulme - ihreszeichens eine ziemlich exzentrische Persönlichkeit - hat viele Jahre total zurückgezogen in Okarito gelebt und u.a. ihren erfolgreichen Roman verfasst. Wir haben vergeblich versucht, ihr Haus zu finden. Wäre aber sowieso nicht erwünscht gewesen, Besucher wurden angeblich mit einem Schild "Piss off!" empfangen. Aber einen optischen Eindruck von Okarito können wir bieten ...
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